Saturday, August 5. 2006
Wahrig, ein schauriger Duden
Neu - Neu - Neu - Neu - Endlich Sicherheit!
Mit diesen Schlagworten wirbt der neue WAHRIG – eine Mail mit diesem Betreff würde vermutlich in meinem Spam-Filter landen.
Oder man könnte zusammen mit den Ankündigungen des DUDEN ...
Zum 1. August 2006 wird die neue deutsche Rechtschreibung endlich überall verbindlich. Die Rechtschreibreform kann damit nach langen Jahren teils heftiger Auseinandersetzungen als abgeschlossen betrachtet werden [...] Der neue vierfarbige Druck, das neue Griffregister und die erstklassige typografische Gestaltung machen das meistgebrauchte deutsche Wörterbuch äußerst benutzerfreundlich [...] Aktuelle, verbindliche und einheitliche deutsche Rechtschreibung aus dem Hause Duden
... sowie ...
Damit [...] stets umfassend und repräsentativ die Gegenwartssprache [...] optimale Qualitätssicherung geachtet [...] innovativen elektronischen Suchverfahren auf Basis des WAHRIG Textkorpusdigital [...] fehlende topaktuelle Begriffe [...] voll schultaugliche Standardwerk ist durch Integration [...] auf diese Weise verbindlich Aktualität, Vollständigkeit und Zuverlässigkeit [...] praxisorientierte Infokästen, die kompakt [...] geben Sicherheit in allen Rechtschreibfragen. [...] und gewährleistet so exklusive Aktualität und Authentizität.
wunderbar Reformwerks-Bullshit-Bingo spielen.
Während der Duden nun voller Nationalstolz(?) sein Werk in schwarz-rot-goldgelb erscheinen läßt (die vierte Farbe ist wohl das Hintergrundweiß), bringt es der neue Wahrig nur auf Blaudruck (für Änderungen im Vergleich zu 1991), dafür läßt er dann aber komplett die temporären Regelungen von 2004 und 1996 weg. Für den Normalmensch (der sich allerdings wohl eh nicht sonderlich um das ganze Hickhack kümmern wird) nicht so von Bedeutung, gelten diese alten Neuregeln immerhin für ein (D) bis drei (CH) Jahre als „nicht falsch” in der Schule. Zumindestens der Lehrer sollte also lieber nicht nur in den WAHRIG schauen. Obwohl:
Ebenso wie im neuen Wahrig sind die Neuerungen der revidierten Reformschreibung von 2006 gegenüber den nichtreformierten Schreibweisen von 1991 markiert. Die gesamte Reform von 1996 bis zur Revision von 2004 wird ebenso mit Stillschweigen übergangen wie die ruhmlos entlassene Zwischenstaatliche Kommission.
Die seit zehn Jahren in den Schulen gelehrten Reformschreibweisen sind also nicht verzeichnet. Die KMK hat jedoch im März 2006 beschlossen: „Bis zum 31. Juli 2007 werden Schreibweisen, die durch die Amtliche Regelung (Stand 2006) überholt sind, nicht als Fehler markiert und bewertet.“ Folglich ist der Duden für die Schule nicht geeignet.
Hrmpf.
Und noch ein paar Schmankerl zum Unmut sammeln aus der FAZ:
Der erweiterte Infinitiv soll wieder durch Komma abgetrennt werden, aber nur nach bestimmten Bezugselementen wie Substantiven und Pronomina, nicht nach Verben. So stehen nebeneinander: „Er hat die Absicht, morgen abzureisen“ und „Er beabsichtigt morgen abzureisen“.
Aha. Da war ja selbst die Reform-Form „es gibt kein Komma vor dem erweiterten Infinitiv” noch verständlich – schlecht lesbar, aber verständlich.
Unter „Schlusssatz“ und „Schussstärke“ wird „der besseren Lesbarkeit wegen“ ein Bindestrich vorgeschlagen: Schluss-Satz, Schuss-Stärke. Darf man daran erinnern, daß „Schlußsatz“ ohne Probleme lesbar war und erst die Reform den Schaden angerichtet hat, der nun auf so unbeholfene Weise repariert werden muß?
Habe ich eigentlich schon erwähnt, daß „dass” auch einfach sch**ße aussieht?
Diag-nose, Subs-tanz, Pithe-kanthropus, Thermos-tat, Rest-riktion, Katas-trophe und Katast-rophe und viele andere bleiben aber zulässig
grusel
Wie schon 2005 wird im Wörterverzeichnis nur noch die Hybridschreibung Orthografie, orthografisch benutzt, im gesamten ersten Teil des Werkes aber weiterhin Orthographie und orthographisch. Bei Photosynthese wird die traditionelle fachsprachliche Schreibung empfohlen, bei Phonetik (neu Fonetik) nicht.
Fonetik? *kotz* (sorry) Und ja, ja, ich weiß, „Telefon” und „Elefant” ...
Zur Verbindung von Adjektiv und Verb behauptet der Duden unter K 56: „Ebenso gilt Getrenntschreibung bei intransitiven und reflexiven Verben.“ Daraus soll die Schreibweise sich bloß strampeln und kalt werden folgen. Die Regel ist frei erfunden, das amtliche Regelwerk kennt die Begriffe des intransitiven und des reflexiven Verbs überhaupt nicht.
Diese Zielgruppe der Reform [Anfänger und Wenigschreiber] wird ja auch durch die neue Silbentrennung angesprochen. Die Dudenredaktion scheut sich nicht, bei Anal-phabet, Urin-stinkt, Frust-ration (aber nicht Lust-ration) jeweils in einer Fußnote in schamhaften Andeutungen vor den heiklen Trennungen zu warnen.
Sonst werden aber zur Silbentrennung keinerlei Empfehlungen gegeben, Subs-tanz erscheint als vollkommen gleichberechtigt neben Sub-stanz, und so in Tausenden von Fällen.
Abschließendes Fazit der FAZ zum Wahrig:
Insgesamt dokumentiert der Wahrig trotz mancher Versehen recht zuverlässig die von den Kultusministern jüngst verordnete Schulorthographie. Sie stellt der deutschen Sprachwissenschaft kein gutes Zeugnis aus.
Und zum Duden:
Das Zeitalter der Hausorthographien war eigentlich um 1900 beendet, erst die Rechtschreibreform hat es wieder heraufbeschworen. Sichtbarer Ausdruck ist der Vierfarbendruck des neuen Duden. Er wird im Vorwort und in der Werbung als Vorzug herausgestellt, als wenn die Kunden Kinder wären, die sich an Buntem erfreuen und nicht wissen, daß Buntheit in diesem Fall nur das Ende der deutschen Einheitsorthographie signalisiert.
Weiterhin berichtet die FAZ vom Ratsvorsitzenden, der bei jeder Gelegenheit verkündet, eine Rücknahme der Reform komme nicht in Frage
; er möchte die Gesellschaft mit der Rechtschreibreform
. Nunja, ihm sei gesagt, ICH möchte mich damit ganz sicher nicht „versöhnen”. versöhnen
Und nochwas: Laut Pressemitteilung macht der Dudenverlag noch ein ganz besonderes Angebot:
Der Dudenverlag startet darüber hinaus zusammen mit dem teilnehmenden Buchhandel pünktlich zum Erstverkaufstag am 22. Juli 2006 eine besondere Aktion. Jeder Kunde kann beim Kauf eines neuen Rechtschreibdudens (Buch, Kombiversion, CD-ROM) seinen alten Duden (nur Buch) in Zahlung geben und dafür vom teilnehmenden Buchhändler je nach Erhaltungszustand des Buches bis zu vier Euro vergütet
Sorry, aber meinen Duden bekommt ihr nicht!
Bei all dem (amtlichen) Durcheinander fragt man sich dann vielleicht auch, ob folgende Heise-Meldung (Kein Update der Duden-Rechtschreibung für OpenOffice-Nutzer) Fluch oder Segen ist. Ich jedenfalls bin froh über den kleinen Schalter „alte dt. Rechtschreibung”.
PS: Eine mögliche Alternative (zumindestens für den Hausgebrauch) habe ich in den Leserkommentaren der FAZ gefunden: Das Rechtschreibwörterbuch - Sinnvoll schreiben, trennen, Zeichen setzen; die bewährte deutsche Rechtschreibung in neuer Darstellung.
[via FAZ: Noch nicht einmal der Duden hält sich an den Duden und Die Vernunft kehrt nur in Trippelschritten zurück]
Quelle: obs/DudenNeu - Neu - Neu - Neu - Endlich Sicherheit! Mit diesen Schlagworten wirbt der neue WAHRIG – eine Mail mit diesem Betreff würde vermutlich in meinem Spam-Filter landen. Oder man könnte zusammen mit den Ankündigungen des DUDEN ... Zum 1. August 2006 wird die neue deutsche Rechtschreibung endlich überall verbindlich. Die Rechtschreibreform kann damit nach langen Jahren teils heftiger Auseinandersetzungen als abgeschlossen betrachtet werden [...] Der neue vierfarbige Druck, das neue Griffregister und die erstklassige typografische Gestaltung machen das meistgebrauchte deutsche Wörterbuch äußerst benutzerfreundlich [...] Aktuelle, verbindliche und einheitliche deutsche Rechtschreibung aus dem Hause Duden ... sowie ... Damit [...] stets umfassend und repräsentativ die Gegenwartssprache [...] optimale Qualitätssicherung geachtet [...] innovativen elektronischen Suchverfahren auf Basis des WAHRIG Textkorpusdigital [...] fehlende topaktuelle Begriffe [...] voll If you liked this article or it was helpful to you, why not flattr it? [What is flattr]?






